1. Workshop-Bericht (abstracts)

Von 1D bis 4D, von Millimeter bis Meter – Bestandsvermessung und deren Richtlinien

Stefan Linsinger   I   Linsinger Kulturgutvermessung, St. Johann/Pongau

Technologische Innovationen im Vermessungswesen erlauben immer schnellere und messtechnisch präzisere Bestandsaufnahmen und der Einsatz modernster Technik ermöglicht oft überhaupt erst hochqualitative Bauaufnahmen sehr großer, komplexer Bestandsbauwerke. Insbesondere, wenn die Faktoren Bearbeitungszeit und Dreidimensionalität der Messdaten einbezogen werden. Gerade anhand der Stereophotogrammetrie zeigt sich jedoch, dass der gezielte Einsatz traditioneller Methoden belastbarere und aussagekräftigere Ergebnisse liefern kann als jedes digitalisierte Verfahren. Die Auswertung der Vermessungsprodukte zu Plangrundlagen, gleichermaßen gültig für digitale Punktwolken oder photogrammetrische Bilder, erweist sich als Knackpunkt bei der Prozessierung der immensen Datenmengen. Automatisierungen mittels informationstechnologischer Algorithmen errechnen keine befriedigenden Planzeichnungen, welche die händische Bearbeitung als kritisch hinterfragende Instanz ersetzen könnte. Für virtuelle dreidimensionale Darstellungsformen sind sie hingegen unersetzbar. Die Wahl des Messverfahrens unterliegt der spezifischen Aufgabe, dem örtlichen und zeitlichen Bearbeitungsumfeld und – maßgeblich – dem angestrebten Ergebnis.

 

Das `Digitale Raumbuch´ als Werkzeug der Bestandserfassung

Elke Nagel   I   strebewerk. Architekten GmbH, Stuttgart

Raumbücher sind seit langem fester Bestandteil der denkmalpflegerischen Dokumentationstechniken und doch wird ihr kommunikatives und prozessplanerisches Potenzial häufig unterschätzt, was zumeist in der eher schwergängigen Nutzung und Fortschreibung begründet liegt. Die Erstellung von Raumbüchern in Form einer Datenbank erlaubt eine Erweiterung des klassischen, vor Ort erhobenen Datensatzes um Bestandspläne, Archivalien und Dokumente wie Restaurierungsberichte mit Befundblättern oder fachplanerische Gutachten. Durch browserbasierte Eingabemasken wird der notwendige Grad an Standardisierung der Einträge erzielt, durch Freitexteingaben das wissenschaftliche Niveau ermöglicht. Direkter Zugriff auf CAD-Pläne, Schnittstellen zu BIM-Planungsmodellen sowie der Informationstransfer in Echtzeit übersetzen das Raumbuch von einem reinen Dokumentationsmittel in ein Planungswerkzeug. Insbesondere die barrierefreie Fortschreibbarkeit und eine prozessorientiert aufgebaute Gliederungsstruktur der relationalen Datenbank verlagern den Profit der Erfassung von der Denkmalpflege in die Planungsbüros, weil sich durch die komprimierte Erschließung möglichst umfassender Kenntnis des Bestands die Planungs- und Kostensicherheit verbessert.

 

klein „a“- Architektur des Aufschwungs in Mendrisio und Chiasso, eine didaktische Aufnahmeübung 

Ruggero Tropeano   I   Tropeano Architekten, Zürich / Università della Svizzera italiana, Medrisio

In der Schweiz belegen – wie anderswo – zahlreiche aus dem Bestand verschwundene Bauten ein fehlendes Verständnis für die gestalterischen Qualitäten  der Nachkriegsmoderne. Dabei kann eine Sensibilisierung für die Besonderheiten von Architektur und Städtebau der Zeit – wie die Ergebnisse mehrerer studentischer Projektarbeiten der Accademia di architettura Mendrisio anschaulich zeigen – bereits durch eine rein zeichnerische Bestandserfassung erreicht werden. Die vergleichende Gegenüberstellung von gezeichneten Fassadenansichten liefert Anhaltspunkte für zeittypisch relevante Gestaltungsmerkmale und Besonderheiten. Da selbst während der Bearbeitung durch die Studierenden viele Bauten der Nachkriegsmoderne in Mendrisio und Chiasso dem wirtschaftlichen Veränderungsdruck zum Opfer fielen, sind die angefertigten Skizzen und Zeichnungen nicht nur als wichtige Werkzeuge der Dokumentation zu verstehen, sondern auch als Mittel für mehr gesellschaftliche Aneignung und Wertschätzung der  noch wenig  geliebten Gebäudebestände. Der Vortrag machte durch zahlreiche im Bild gezeigte Beispiele deutlich, dass selbst hochwertige  „Meilensteine“ der Schweizerischer Nachkriegsarchitektur in Gefahr sind. Demgegenüber stehen „Best-Practice“-Beispiele für gelungene Sanierungen dem schleichenden Verwinden der Gebäudebestände der Nachkriegsmoderne in der Schweiz gegenüber.

 

Kontrollierte Umwelten. Potentiale der Erfassung gebäudetechnischer Anlagen und Klimabedingungen

Andreas Putz   I   Professur für Neuere Baudenkmalpflege, Technische Universität München

Die Bauwerke der jüngeren Vergangenheit zeichnen sich durch ein verstärktes Bestreben der Konditionierung und Regulierung von Umweltfaktoren aus. Umfangreiche Infrastrukturen und umfassende gebäudetechnische Installationen erlaubten die Gestaltung abgeschlossener, kontrollierter Umwelten. Nicht zuletzt Reyner Banhams „The Architecture of the Well-Tempered Environment“ rückte den architekturbestimmenden Einfluss der Gebäudetechnik zwar schon 1969 in den Fokus, bei der Erfassung des jüngeren Baubestands wurde dieses zeittypische Charakteristikum bisher jedoch stark vernachlässigt. Tatsächlich rühren viele der Probleme der Weiternutzung und Erhaltung dieser Bauwerke aus den Unzulänglichkeiten und einem bisher unzureichenden Verständnis der historischen haustechnischen Installationen und Systeme.

Die historische Quellenlage beschränkt sich häufig auf zeitgenössische Publikationen, technische Fachplanungen und Koordinierungspläne sind selten überkommen. Die kurzen Erneuerungszyklen gerade des technischen Gebäudeausbaus sorgen für große und in den meisten Fällen undokumentierte Verluste der originären Anlagen, während bauphysikalische Untersuchungen zumeist auf den Nachweis von Mängeln, Schäden und Unzulänglichkeiten abzielen. Daher steht zunächst eine grundlegende Methodensuche aus, die auf Grundlage der bauforschenden Erfassung des Bestands einen unvoreingenommenen Nachvollzug und die Bewertung bauzeitlicher Anlagen und deren Veränderungen erlaubt. Aus dem Zusammenspiel von Bauwerk und Gebäudetechnik sind schließlich auch die tatsächlichen früheren und heutigen raumklimatischen Bedingungen abzuleiten und unter Berücksichtigung veränderter äußerer und innerer Einflüsse in Simulationen zu rekonstruieren, um Erkenntnisse zu Wirkungsweise, Effizienz, technischer Regulierbarkeit und Auswirkung auf Nutzung, Konstruktion und Gestaltung zu gewinnen.

Eine solche Betrachtung erst erlaubt, historische gebäudetechnische Anlagen nicht bloß als technisch veraltet und gegenüber heutigen Möglichkeiten und Normen mangelhaft zu begreifen, sondern als historisch gebundene, oftmals gestalterisch bestimmende und integrale Eigenheit dieser Bauwerke als Ganzes. An die Stelle der Implementierung neuer, und oft unangepasster gebäudetechnischer Systeme in „alte Hüllen“ – mit den bekannten unmittelbaren Folgen für angrenzende Bauteile und Architekturoberflächen im Zuge von Entkernung und Einbau –  könnten passgenauere, bestandsgerechtere Lösungen und sogar substanzschonendere, punktuelle Eingriffe treten, die dem Prinzip der Reparatur entsprächen.

 

Restauratorische Untersuchungen von Architekturoberflächen der Moderne

Julia Feldtkeller   I   Restauratorin und Kunsthistorikerin, Tübingen

Oberflächenwirkung und Entwurfsintention sind untrennbar verbunden, sodass eine umfassende Bestandserfassung moderner Gebäude immer auch die Erforschung der originären Oberflächen enthalten muss. Erst das Zusammenspiel von Materialoberflächen und Farbgebung mit den Kontrasten von Glätte und Struktur, oder matten und glänzenden Schichten verwandeln die Baukonstruktion in ein gestaltetes Ganzes. Dauerhafte Nutzung und der Wandel zeittypischer Moden führen zu verfremdender Überformung oder gar zu Verlusten der sensiblen Schichten. Fehlende Grundlagenforschung zur Materialität der unterschiedlichen Oberflächen erschwert die Planung von Restaurierungen oder Ergänzungen selbst dann, wenn die ursprünglichen Oberflächen noch erhalten sind. Die restauratorische Untersuchung vor Ort wird durch Archivalien, historische Fotos und Bauakten sowie zeitgenössische Publikationen ergänzt und in den architekturhistorischen Kontext eingeordnet. Die zahlreichen Beispiele restauratorischer Befunde, die die architektonischen Qualitäten der Bestandsbauten erst enthüllten, verwiesen auf die Notwendigkeit, sachbezogen in die Tiefe der Gestaltungsideen zu blicken, um einzelne Gebäude aber auch übergeordnete Entwurfskonzepte zu verstehen. Diese stetig wachsende Sammlung ermöglicht grundlegende Bewertungen moderner Bauten und gibt Denkanstöße zu deren substanzieller Erhaltung.

 

Die Translozierung von Nachkriegsgebäuden: Ein Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Bernd Jäger   I  JaKo Baudenkmalpflege, Rot a. d. Rot

Translozierungen von Bauwerken basieren auf genauer Kenntnis des ursprünglichen Bestands, sowohl dessen Konstruktion wie auch die Materialität betreffend, die sich nur durch umfassende Erfassung und Dokumentation des zu versetzenden Bauwerks erlangen lässt. Geeignete Verfahren zur Versetzung historischer Gebäude in handwerklich-traditioneller Bauweise, wie beispielsweise Fachwerkhäuser, haben sich über die Jahre etabliert. Ortswechsel jüngerer Bauwerke beinhalten durch die noch nicht ausreichend erforschten Materialien, Schad- und Giftstoffe sowie häufig industriell hergestellter Halbfertigprodukte aus Materialverbünden neue Fragestellungen. Adaptionen der Herangehensweise mussten in der Erfassung, Erkundung und hinsichtlich der Mittel der Neufügung der Bauelemente vorgenommen werden. Das Meistern technischer Herausforderungen reicht nicht, wenn fehlende Ersatzteile der industriell gefertigten Bauelemente den adäquaten Wiederaufbau erschweren. Aus mangelnder öffentlicher Wertschätzung werden Ausstattungselemente, wie Sanitärarmaturen, Fliesen, Tapetenreste, etc. nicht wie Schätze aus vergangener Zeit aufbewahrt und sind somit auch kaum auf dem zweiten Markt erhältlich. Für die Schaffung eines neuen wertschätzenden Bewusstseins und öffentliche Akzeptanz sind die wenigen bisher translozierten Bauten der Moderne ein wichtiger Beitrag.

 

Altes Neu Denken

Andreas Hild   I  Hild und K Architekten, München I Professur für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege, Technische Universität München

Weiterbauen von Bestandsgebäuden bedeutet immer auch ein Aufbauen auf der Bestandserfassung. Im Normalfall gehen bei Umbauten nicht denkmalgeschützter Bauten Oberflächen und Ausstattung weitgehend verloren, der Neuaufbau von Technik, Fassaden und Innenräumen setzt in der Tiefe des Rohbaus an. Als zeitgemäße Planungsgrundlage werden virtuelle 3D-Modelle benötigt, welche die Konstruktion und Gestaltung des Bauwerks und nicht zuletzt die maßlichen Vorgaben des Rohbaus wiedergeben. Die Modelle werden aus der Überlagerung verschiedener Informationsquellen generiert: Bauaufnahmen geben Aufschluss über den Gesamtbestand, historische Konstruktions-, Schal- und Bewehrungspläne über das Innenleben des Rohbaus und schließlich dienen Befundöffnungen der Verifizierung. Dreidimensionale Planungsmodelle können in sehr unterschiedlicher Detailschärfe und metrischer Genauigkeit, folglich auch mit großen Differenzen in technologischem, zeitlichem und finanziellem Aufwand, erstellt werden. Die Abwägung welche Art der Erfassung und welcher Detaillierungsgrad erfolgt hinsichtlich der Aufgabe und der benötigten Leistungsfähigkeit des Modells. Visualisierungsmodelle einer Ersterfassung, die auf Kombinationen von Scandaten und fotoprozessierenden Verfahren beruhen und für die Kommunikation und Planungsplanung in den ersten Leistungsphasen der Umbauplanung bestimmt sind, unterliegen anderen Anforderungen als Modelle, die als Grundlage für die Werkplanung dienen. Gerade bei großen und komplexen Projekten kann es sinnvoll sein, jeweils dem Planungsfortschritt angepasste Modelle zu generieren, die an Informationsdichte hinzugewinnen. Wichtige Aufgabe des Architekten ist die Plausibilitätsprüfung der Modelle, um Risiken von Scheingenauigkeiten zu minimieren und die Planungsgrundlagen abzusichern. Zahlreiche Beispiele aktueller und fertiggestellter Umbauprojekten zeigten die verschiedenen Anforderungen an die Bestandserfassung und die Möglichkeiten des Weiterdenkens des Bestands.

 

 

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